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Tut sich etwas auf?

Für Kurt, den "Strahlemann"

von Markus Hürlimann

Funken stieben. Helles Neonlicht aus der Stirnlampe leuchtet die dunkle Kluft aus. Es tropft von der Höhlendecke. Kaltes Schmutzwasser läuft in den Ärmel meines gelben Oelanzuges. Immer wieder gleitet der Bohrmeissel am pickelharten Gestein ab, wird neu angesetzt, rutscht wieder ab. Es ist ein ständiger Kampf mit dem Berg, zusammengekauert, schwer atmend, in einer Lache voller Schmutzwasser liegend, in einem nassen, dunklen Felsspalt – das ist STRAHLEN!

Ein stahlblauer Himmel wölbt sich über den schneebedeckten Berggipfeln. Zwischen riesigen Steinblöcken und saftig grünen Alpwiesen suchen wir in Felsspalten nach Kristallen. Seit Millionen Jahren liegen diese Wunderwerke der Natur hier oben in dieser herrlichen Bergwelt. Warten darauf, von Strahlern entdeckt zu werden. Faszinierende Ungewissheit bei jedem Schritt und Tritt. Gelingt uns heute der grosse Wurf? Werden wir unverhofft einen wunderbaren Kristall in der gleissenden Sonne bestaunen können? Hoffen, Suchen, der Geist der Pioniere weht uns um die Ohren. Wie die verwegenen Pioniere, die einst im kanadischen Yukon den legendären Goldrush auslösten. Dies wäre STRAHLEN, wie ich es mir als Laie immer vorgestellt habe.

Träume, Visionen, Fantastereien stehen knallharter Realität gegenüber.

Für Träumereien bleibt kein Platz in der engen Kluft. Immer wieder stemme ich den schweren Bohrhammer in die Höhe und versuche, dem Berg einige Zentimeter Gestein abzuringen. Nur kleine Stücke lösen sich vom Quarzband, hinter dem sich in wundersamer Weise plötzlich ein Hohlraum auftun sollte, um die seit Millionen Jahren eingeschlossenen Kristalle freizugeben. Bald einmal frage ich mich: "Was zum Teufel mache ich bloss in dieser verdammten Kluft? Ist dies die Faszination des Strahlens? Hat denn diese Schufterei nicht bald ein Ende"?

Der Göscheneralp-Stausee mit Dammastock (3630 m.ü.M.) und -Gletscher, im Vordergrund Moosstock (2611 m.ü.M.)
Der Göscheneralp-Stausee mit Dammastock (3630 m.ü.M.) und -Gletscher, im Vordergrund Moosstock (2611 m.ü.M.).

Dabei hat alles ganz harmlos begonnen. Stunden zuvor sind wir - Kurt, mein Freund und passionierter Strahler und sein Kollege Olivier, der Strahler-Experte schlechthin - und ich, das Strahler-Greenhorn, von der Göscheneralp aus zu unserem Unternehmen gestartet. Der Aufstieg zur Kluft ist zwar anstrengend, aber das wunderschöne Bergpanorama entschädigt uns für die Mühen. Tief unten liegt der smaragdgrüne Stausee, eingebettet von saftig grünen Alpweiden. An zwei Stellen ergiesst sich eine weisse Gischt in den See. Kilometerweit wird das Gletscherwasser tief unter der Erde in den See geleitet, damit wir verwöhnten Unterländer auch ja immer genug Strom für unsere Annehmlichkeiten des Alltags zur Verfügung haben.

Elektronik ist hier oben Fehl am Platz, nicht mal mein Handy funktioniert, gut so. Mal wieder frische Bergluft und den Duft der Alpenkräuter einziehen. Herrlich! Letzte Wolkenfetzen hangen um die Berggipfel. Bergbäche donnern zu Tale. Mit langsamen Schritten nähern wir uns der "heiligen Stätte", der Kluft, in der die verborgenen Schätze liegen. Kurt hat diesen Felsspalt vor zwei Jahren entdeckt und seither hält er die Kluft "besetzt". "08/07 KW" hat er auf den Eingang mit schwarzer Farbe gemalt: Das heisst soviel wie: "Hände weg, ich gehöre jemanden, und dieser jemand ist Kurt Worni, Strahlerpatent Nr. 08, gültig für das Jahr 07. Auch hoch auf den Bergen muss alles seine Ordnung haben.

Dann, endlich stehen wir vor dem verheissungsvollen Eingang. Aber ausser einer grossen schmutzigen Wasserlache in zwei dunklen Löchern kann ich nichts, aber auch gar nichts "Strahlendes" entdecken. Zeit, meine Enttäuschung zu zeigen, bleibt aber eh’ keine. Sofort machen sich meine beiden Begleiter daran, die Kluft für eine neuerliche Attacke vorzubereiten.

Wie von Zauberhand lassen sie aus der Nebenkluft unzählige Utensilien erscheinen. Zwei grosse Abfalltonnen, voll von Material, stehen neben einem Generator, Bohrhammer und Benzinkanister. Schutzmatten, ein ganzes Arsenal von Stemm- und Brecheisen, Schaufel, diverse Meissel und sonstige Kratzeisen werden aus dem Innern des Berges zu Tage gefördert. Es geht zu und her wie frühmorgens auf einer Baustelle: Jede Bewegung sitzt, alles hat seinen Platz, der Ablauf ist vorbestimmt: Das in der Kluft gesammelte Schmutzwasser wird mit einem Gartenschlauch abgelassen, danach der Rest noch ausgeschöpft und in schwarzen Maurer-Kübeln hinausgetragen. Überzüge anziehen, Schutzmasken über Nase und Mund stülpen, Handschuhe überziehen, Stirnlampe montieren, Bohrmeissel einsetzen, Generator in Betrieb nehmen – und los geht die Schufterei.

Aber halt, es wird nicht einfach ziellos drauflos gebohrt. Das Bohren hat System. Kurt zieht ein Stück Papier aus der Tasche, eine Fotografie der Kluft, mit Kreisen und Pfeilen sind die Stellen, die am erfolgversprechendsten für einen Durchbruch erscheinen, gekennzeichnet. Die beiden Experten sprechen sich kurz ab und sind sich einig: genau hier, ja hier bei diesem Kreis soll der Bohrer angesetzt werden.

In der nassen Kluft angestrengtes Arbeiten am harten Fels In der nassen Kluft angestrengtes Arbeiten am harten Fels.

Für mich sieht der Fels immer gleich aus. Ob ich nun unten, oben oder seitlich bohre spielt keine Rolle. Ich kann mir zwar vorstellen, dass da plötzlich eine Öffnung entsteht und Kristalle zum Vorschein kommen. Aber die Vorstellung, dass dieser Moment auch erst in zwei Jahren da sein kann, die macht mir echt zu schaffen. Denn trotz des pausenlosen Einsatzes aller drei Beteiligten geht es sehr, sehr langsam vorwärts, nur zentimeterweise. Kurt und Olivier versichern mir zwar immer wieder, dass dies besonders hartes Gestein sei und dass man ab und zu auch schneller zum Ziel komme. So richtig glauben mag ich das nicht.

Aber warum sollten wir denn überhaupt so rasch zu den verborgenen Schätzen gelangen? Es gibt keinen Grund dazu. Schliesslich liegen die Kristalle schon Jahrmillionen im Verborgenen, was sind da schon ein paar Jährchen, die wir hier vielleicht bohren müssen, bis die Kristalle sich offenbaren – wenn überhaupt. Denn es kann durchaus auch sein, dass nach langer Zeit des Bohrens und Meisselns gar nichts zum Vorschein kommt.

Ein Quarzgrüppchen aus einer nahe gelegenen Kluft; B: 7cm, Göscheneralp Ein Quarzgrüppchen aus einer nahe gelegenen Kluft; Breite: 7cm, Fundort: Göscheneralp.

Für einen passionierten Strahler ist dies jedoch ein Teil dieser aussergewöhnlichen Freitzeitbeschäftigung. Die Spannung und die Aussicht, irgendwann mal auf den grossen Fund zu treffen, machen die Faszination des Strahlens aus. Olivier sagt: "Wenn ich einen schönen Kristall aus der Erde oder dem Gestein lösen kann und ihn in meinen Händen halte, fühle ich mich wie ein Geburtshelfer. Das ist der Lohn für all die Mühe."

Irgendwann, nach Stunden des Bohrens und Meisselns, tönt es plötzlich aufgeregt aus der Kluft: "Es tut sich etwas auf!" ruft Kurt nach draussen. Der Durchbruch? Nein, das kann doch nicht sein, dass gerade bei meinem Besuch der Durchbruch gelingt! Nein, soweit sind wir noch lange nicht, aber plötzlich ragt ein Kristall aus dem Gestein heraus. Kurt hatte sich entschieden, entgegen der Abmachung, etwas mehr rechts zu meisseln – und plötzlich hat das Material nachgegeben und dieser einzelne Kristall kam zum Vorschein.

Ein erster Erfolg am heutigen Tag! "Wurde auch langsam Zeit", denke ich für mich. Schliesslich ist es schon nachmittags um drei Uhr. Nun gilt es, das Material rund um den Kristall vorsichtig wegzumeisseln. Diese heikle Aufgabe überlasse ich den beiden Experten. Und tatsächlich nach einer weiteren Viertelstunde ist es soweit, ein fünf Zentimeter grosser Kristall wird zu Tage gefördert. Leider ist er nicht von jener Qualität, die erforderlich ist, um mit Glanz und Gloria in die Sammlung eines erfahrenen Strahlers aufgenommen zu werden.

So ist es eben: die Natur behält, auch trotz der Eindringlinge, noch Geheimnisse für sich, gibt diese nie ganz preis. So hat jener Teil, der aus dem Quarzband herausragte, sehr vielversprechend ausgesehen, aber der Rest, der noch herausgebrochen wurde, war nicht von grosser Qualität. Mit zunehmender Erfahrung und über die all die Jahre hinweg steigt bei den richtigen Strahlern natürlich auch der Qualitätsanspruch.

Der Nachmittag zieht sich endlos dahin, von mir aus könnte man jederzeit ins Tal absteigen. Aber Kurt und Olivier wollen die Zeit hier oben nutzen, es ist ja ungewiss, wann man das nächste Mal wieder aufsteigt.

Nebel steigt auf - kommt Regen? Nebel in der Göscheneralp

Nebel steigt auf, der Himmel ist verhangen und es sieht nach Regen aus. Es wird kühl, Zeit zum Aufbrechen. Das gesamte Material wird wieder in der Kluft verstaut. Wir ziehen die Überzüge aus und packen sie in den Rucksack. Ein letzter Blick in die Kluft, die ihr Geheimnis noch nicht preisgegeben hat, der Durchbruch fand nicht statt. Enttäuscht sind Kurt und Olivier keineswegs, sie werden es weiter versuchen und immer wieder aufsteigen, zu zweit und manchmal auch alleine. Und während Stunden werden sie dem Berg Zentimeter um Zentimeter Fels und Quarz abringen. Immer von der Hoffnung begleitet, dass sich plötzlich ein Hohlraum auftut und sich dahinter eine Kristall-Landschaft ihrer Träume präsentieren wird.

Später sitzen wir im Berggasthof und geniessen die währschafte Küche. Kurt und Olivier fachsimpeln. Immer wieder versuche ich mit geschickten Fragen, ihnen das Geheimnis über die Faszination des Strahlens zu entlocken. Das ist nicht ganz einfach. Aber sicher ist, dass irgend etwas diese Menschen immer wieder in die Berge treibt. Vielleicht ist es die unerschütterliche Hoffnung, einmal den ganz grossen Coup zu landen. Natürlich macht die Geschichte der beiden wohl berühmtesten Strahler der Schweiz die Runde. Den beiden Berufsstrahlern Franz von Arx und Paul von Känel gelang vor nicht allzu langer Zeit, nach über zehn Jahren harter Arbeit, einen riesigen Kristall am Planggenstock zu bergen. Der Fund wurde in der Szene als Weltsensation bezeichnet. Und dieser wohl einmalige Kristall soll gegen eine Million Franken wert sein.

Die Chance, dass meine beiden Begleiter oder ihre Gleichgesinnten in ihrem Leben je auf einen solch gigantischen Kristall stossen werden, ist aber realistisch eingeschätzt genau so gross wie einen 6er im Lotto zu landen oder einen Multi-Million-Jackpot im MGM-Grand Casino in Las Vegas zu knacken. Und trotzdem spielen jeden Tag Millionen von Menschen rund um den Erdball Lotto, nehmen an Glücksspielen teil und setzen Millionen Beträge in den Spielkasinos – von Macao bis nach Bad Krotzingen.

Der Traum des Strahlers: eine Kluft mit wunderbar klaren Quarzen übersät mit 
Rosafluoriten (im Bild die geschützte Kluft von der Gerstenegg, Kraftwerke Oberhasli (BE)). Der Traum des Strahlers: eine Kluft mit wunderbar klaren Quarzen übersät mit Rosafluoriten (im Bild die geschützte Kluft von der Gerstenegg, Kraftwerke Oberhasli (BE)).

Und genauso wie Kurt seit vielen Jahren davon träumt, eines Tages einen grossen, einzigartigen Fund zu machen, genauso träume ich seit bald 25 Jahren davon, irgend einmal in meinem Leben im zweiten Sonntag im Oktober am Kai von Kona auf der Insel Hawaii am Start des legendären Ironman Triathlons zu stehen. Ein Traum, der für beide vermutlich nie wahr werden wird.

Aber was wäre unsere Welt ohne Visionen, ohne Illusionen? Ist denn unser Leben nicht täglich geprägt von dieser Diskrepanz zwischen Realität und Wunschdenken? Gleichsam wie die Kluft am Planggenstock: Ein Raum, ein Loch, eine Leere, die zwischen Realität und Traum steht. Ein Raum, der nicht greifbar, nicht messbar ist. Er kann morgen kleiner werden oder sich bis in die Unendlichkeit ausdehnen.

Und in einer solchen Kluft leben wir ein ganzes Leben lang. Wir füllen sie immer wieder von neuem mit unseren Wünschen und Träumen, wohlwissend, dass sich diese Kluft nicht auf Befehl öffnen lässt, um unsere Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Nur allzu oft bleibt sie für unsere Wünsche verschlossen – für viele davon für immer. Aber ab und zu – für die einen Menschen öfters als für andere – tut sich in diesem "Lebens"-Raum eine kleine und manchmal auch eine grosse Öffnung auf – und lässt Strahlen durch, die unser Leben in wundersamer Weise bereichern. Die Geburt eines Kindes, die Liebe eines Partners, das Glück gute Freunde zu haben, die Spannung Neues zu entdecken, die Musse, die schönen Seiten des Lebens zu geniessen, die Energie, eine sportliche Leistung zu erbringen oder ganz einfach, das Glück, zufrieden und gesund zu sein.

Deshalb wird Kurt immer wieder zu "seiner" Kluft aufsteigen, ein 44. und ein 45. und auch ein 46. Mal. Das ist gut so. Und genauso werde ich immer wieder aufs Neue ins Schwimmbassin tauchen, aufs Rad steigen und die Laufschuhe schnüren, immer begleitet von der Hoffnung, meinem Traum ein klein wenig näher zu kommen.

Und Dir, lieber Kurt, wünsche ich von Herzen, dass Du eines Tages in irgendeiner Kluft jenes Etwas auftut, nachdem Du schon immer gesucht hast - es muss ja nicht unbedingt ein Kristall sein - von denen hast Du eh’ schon genug zu Hause.

Der Feldschijen (2962 m.ü.M.) mit seinen imposanten Zacken
Der Feldschijen (2962 m.ü.M.) mit seinen imposanten Zacken.

November, 2007


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